Die Frage müsste eher lauten: Warum nicht? Auch wenn die Forschung über die zeitgeschichtliche Kinder- und Jugendliteratur noch sehr jung ist, sind sich nicht nur Literaturwissenschaftler, sondern auch viele Lehrer, Eltern und Politiker einig, dass das Lesen von Wendeliteratur viele positive Auswirkungen hat.
Einer dieser positiven Effekte ist, dass die Wendeliteratur als Teil einer sogenannten Erinnerungskultur „Zugänge zur Zeitgeschichte ermöglicht“ (Josting 2008, S. 40). So beschreibt es die Universitätsprofessorin für Germanistische Literaturdidaktik Petra Josting in ihrem Artikel „Wendeliteratur für Kinder und Jugendliche“. Unter Erinnerungskultur werden allgemein alle „bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse“ (Cornelißen 2003, S. 548) verstanden. Dabei stellen sich die Individuen einer sozialen Gruppe die Frage „Was darf nicht vergessen werden?“. Da sich nun auch junge und vor allem neugierige Leserinnen und Leser sich mit dem Thema auseinandersetzen, regt das Lesen von Wendeliteratur auch den Austausch zwischen verschiedenen Generationen an (vgl. Josting 2008, S. 40). Kinder und Jugendliche kommen so ins Gespräch mit Eltern, Großeltern und andere Zeitzeugen und tauschen sich gegenseitig über ihre Leseerfahrungen aus.
Die Wiedervereinigung Deutschlands ist nun über 30 Jahre lang her und um ein Bewusstsein über die Geschichte Deutschlands zu vermitteln ist es wichtig, dass die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands auch heute noch thematisch behandelt werden. Beim Lesen werden nämlich sowohl kulturelles Wissen als auch „literarisch-kulturelle Traditionen“ (vgl. Glasenapp/Wilkending 2005, S. 8; zitiert in Josting 2008, S. 40) vermittelt. Medien des kollektiven Gedächtnisses, wozu sowohl Mündlichkeit, Bild und eben auch Schrift gehören, ermöglichen ein Festigung und Aufrechterhaltung von Kultur (Erll 2003, S. 157). So können vergangene Ereignisse verortet, gedeutet und an sie erinnert werden (ebd., S. 159). Des Weiteren soll auch das Verständnis für Ost und West gefördert werden, indem die „Unkenntnis westdeutscher Jugendlicher über die Zeit der DDR“ (Kliewer 1994, S. 265; zitiert in Gansel 1996, S. 32) sowie die Probleme nach der Wiedervereinigung verringert werden (ebd.).
Häufig wird jedoch kritisiert, dass die kinder- und jugendliterarischen Texte zu stark vereinfacht wären und somit an ihre Grenzen stoßen müssten, wenn komplexe historische Ereignisse wie die in der DDR um 1989 beschrieben werden (vgl. Gansel 1996, S. 36). Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Ziel nie eine möglichst genaue Schilderung und Nacherzählung der historischen Ereignisse ist. Es geht viel mehr darum, dass die jungen Leserinnen und Leser sich ein Bild von den Geschehnissen machen können und auf unterhaltsame Art und Weise zum Nachdenken und zur Kommunikation angeregt werden.
Mit insgesamt fünf Kinder- und Jugendromanen, die sich der Wendeliteratur zuordnen lassen, haben wir uns auf unserem Blog näher auseinandergesetzt. Durchstöbert gerne unseren Blog – vielleicht ist ja ein geeignetes Buch für euch und eure Kinder dabei.
Literatur:
Cornelißen, C.: Was heißt Erinnerungskultur? Begriff, Methoden, Perspektiven. In: Geschichte und Unterricht. 2003, (54), S. 548-563.
Erll, A.: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. In: A. Nünning & V. Nünning (Hrsg.): Konzepte der Kulturwissenschaften: Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven.Stuttgart/Weimar 2003, S. 157-185.
Gansel, C.: Zwischen Wirklichkeitserkundung und Stereotypenbildung: Vom Dilemma einer Jugendliteratur zur „Wende“. In: H.-H. Ewers (Hrsg.): Jugend- und Adoleszenzroman. Leipzig 1996 (4), S. 32-43.
Glasenapp, G. von/Wilkending, G.: Vorwort. In: dies.: Geschichte und Geschichten: die Kinder- und Jugendliteratur und das kulturelle und politische Gedächtnis. Frankfurt am Main 2005 (41), S. 7-14.
Kliewer, H. J./ Kliewer, U.: Schreiben nach der Wende. Jugendliteratur ostdeutscher Autoren zum Thema „Gewalt“. In: Diskussion Deutsch. Berlin/Heidelberg 1994 (25), S. 265.
Josting, P.: Wendeliteratur für Kinder und Jugendliche. In: G, Lange & W. Ziesenis (Hrsg.): Diskussionsforum Deutsch. Hohengehren 2008 (27), S. 39-53.
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